Stoneman Dolomiti

28

Juni 2017

Ich höre meine Klickpedale einrasten, umschließe die Lenkergriffe mit meinen Fingern und stelle den richtigen Gang ein. Ich bin beschwingt und schließe beruhigt auf eine gute Tagesform. Obwohl mir Philippes Geburtstagskuchen noch etwas im Magen liegt, aber das gehört eben dazu.

Letztes Jahr sind wir zusammen vom bayerischen Alpenvorland nach Norwegen und zurück geradelt. Diesen Sommer tauschen wir unsere Trekkingräder gegen Mountainbikes und genießen nun vertikale Meter. Philippe hat natürlich auch hier seine Kamera dabei.

Als Highlight der Saison haben wir uns den Stoneman Dolomiti ausgesucht. Diese markierte Route ist 115 km lang und führt über 4.000 Höhenmeter durch die Dolomiten, den Karnischen Hauptkamm sowie die Villgratener Berge.

Wir starten in Toblach und rollen von West nach Ost ins Pustertal hinein. Ab Sillian zweigt ein Forstweg gen Süden ab. Schnell finde ich einen gleichmäßigen Tritt und mein Atem geht ruhig.

Ich denke an den Erfinder des Stoneman-Trails: Roland Stauder. In den 90er und 2000er Jahren gewann er fast alle Mountainbikerennen und Wettkämpfe, die es zu gewinnen gab. Danach hat er diese Route durch die Berge gefunden, mit Steinmännchen und Symbolen markiert und sie Stoneman-Trail-Dolomiti genannt. Ich habe ihn als gutmütigen Südtiroler kennengelernt, der mit glänzenden Augen von der Blumenpracht am Trail Ende Juni geschwärmt hat.

Die Alpenrosen blühen tatsächlich in rosafarbenen Blüten zwischen hellgrünen Blättern in dichten Büschen. Die Blätter erinnern mich wegen ihrer wachsartigen Oberfläche an Rhododendron im Miniaturformat. Ich spüre die Sonnenstrahlen auf meinen Unterarmen und genieße die satten Farben des Frühsommers.

So kurbeln wir uns die Serpentinen hinauf bis kurz unterhalb der Sillianer Hütte. Einige Meter vor mir höre ich Philippe einen Gang tiefer schalten, weil eine steile Rampe näherkommt. Er hebt sich immer einen niedrigeren Gang als Kampftrumpf auf, um dynamisch Anlauf zu nehmen. Leider fahre ich schon seit Minuten auf meinem letzten Gang und beschließe noch bis zur Kehre zu treten und dann zu schieben.

Die Sillianer Hütte ist bestens vorbereitet und bietet dem gemeinen Biker „Stoneman-Trail-Makkaroni“ an. Weil ich heute noch weiterradeln und in kein Fresskoma fallen möchte, bestelle ich lieber etwas Flüssiges.

Ab der Sillianer Hütte geht es am Karnischen Kamm entlang auf Wiesentrails und steinigen Höhenwegen. Ich versuche, die Fahrlinie so gut es geht zu finden, um den Trail möglichst schön zu fahren. Manchmal springt ein Stein davon, mein Hinterrad rutscht ab oder ich hieve mein Fahrrad über eine Stufe.

Dem Stoneman-Trail ist das egal, denn er hat gleich hinter der nächsten Kurve ein neues Schmankerl für mich. Mit Hilfe der Verlagerung meines Gewichts hinter den Sattel, kann ich diese gut meistern. Dieser technisch spannende Abschnitt wird noch mit einer spektakulären Aussicht auf drei schroffe Zinnen aus hellgrauem Dolomit übertroffen. Sie ragen aus einem mit Geröll umsäumten Gebirgsstock heraus.

Wir fahren auf einem Höhenweg wenige hundert Meter unterhalb eines mächtigen aber flachen Berges. Beim Anblick werde ich demütig vor der Schönheit der Natur. Philippe deutet auf diesen Berg und sagt: „Der heißt sogar Demut.“ Ich finde, dass er und die gleichnamige Passage diesen Namen zurecht tragen.

Die anschließende Abfahrt geht rasant und wir tauchen in einen Wald ein, der nach Pinien riecht. Die Luft wird trocken und warm und wenig später fahren wir durch Padolà.

Unser letzter Anstieg für heute ist ein Forstweg auf die Rotwandwiesenhütte in den Sextner Dolomiten. Als mir Philippe beim Abendessen erzählt, dass wir heute 2600 Höhenmeter geradelt sind, schmeckt mir mein Knödeltris noch besser.

Nachts suchen schwere Unwetter ganz Südtirol heim. Brücken brechen und Bäche werden zu reißenden Flüssen. Insgesamt gibt es 70 Blitzeinschläge im Land und die Feuerwehr ist im Großeinsatz. Das alles bekommen wir jedoch unter unserem Dachfenster im Matratzenlager nicht mit. Wir schlafen tief und fest. Am verregneten Morgen beschließen wir, heute nur noch ins Tal abzufahren.

Unschuldig sonnig und kühl zeigt sich das Wetter am Tag darauf. Wir folgen einer kurvigen steinigen Straße in stetiger Steigung die restlichen 1400 Höhenmeter bis zum Gipfel des Markinkele. Danach geht es wieder ins Tal nach Toblach. Von Weitem sieht der Berg aus, wie ein massiver Sockel mit einem kleinen Tupfer Gipfelhang. Bei der lautmalerischen Vorstellung, dass es ein markantes Kinkerle ist, muss ich schmunzeln.

Ich möchte gerne von Schmerzen im Gesäß, schweren Beinen und verkrampften Fingern erzählen, habe das alles bereits vergessen. Die Schönheit des Weges, Aussichten auf Berg und Tal und das Zusammenspiel von Licht und Wolken werde ich hingegen nie vergessen. Ich freue mich über den Stoneman-Trail und bin auch ein wenig stolz auf mich, dass ich ihn auf meine Weise genießen konnte.

 

Text: Christiane Radies