Bikepacking Slowenien
Bikepacking Slowenien
25
Juli 2018
Es ist 15:30 Uhr am Freitagnachmittag Mitte Juni und ich sitze mit einem Arbeitskollegen im Büro. Unsere Schreibtische berühren sich an der Längsseite und unsere Blicke trennen jeweils zwei 24 Zoll große Monitore. Ich beantworte die letzten Mails und stelle in meinem Mail-Programm die automatische Abwesenheitsantwort für heute 17:00 Uhr bis in zwei Wochen ein.
Plötzlich tauchen über meinen beiden Bildschirmen zwei Augenbrauen auf, die so buschig sind, wie Latschenkiefern im Frühsommer. Mein Arbeitskollege streckt sich um weitere 10 Zentimeter, stellt Blickkontakt zu mir her und möchte wissen: „Wo geht’s denn hin in den Urlaub, Christl?“
„Zum Bikepacken nach Slowenien“, antworte ich. „Das macht jetzt gerade jeder“, fasst er grinsend nach und wünscht mir einen schönen Urlaub.
Ich bin froh, dass Bikepacking mittlerweile so populär ist, dass wir sogar unter den Herstellern von Bikepacking-Ausrüstung wählen dürfen. Unsere Mountainbikes sollen möglichst effizient beladen werden. Philippe entscheidet sich für eine komprimierbare Satteltasche mit fest montierter Halterung. Ich habe eine Tasche, die direkt an der Sattelstange befestigt und nicht herausnehmbar ist.
Das Prinzip unserer Lenkertaschen ist ähnlich: mit zwei Befestigungsbändern wird die Tasche um den Lenker festgezurrt und am Lenkervorbau fixiert. Statt Rahmentaschen nehme ich einen Fahrradrucksack. Philippe nimmt seinen Kamerarucksack. Somit stehen uns jeweils 30 – 40 Liter Packvolumen zur Verfügung.
Zuhause verteilen wir Zelt, Kocher und Schlafsack, aber auch Werkzeug und Kameraequipment auf Lenkertaschen, Satteltaschen und Rucksäcke. Nach der ersten Testfahrt merke ich, dass die Tasche an der Sattelstange stabiler ist, als ich dachte. Ich verfrachte den Gaskocher mit dem Topf von vorne nach hinten um das Gewicht vorne zu reduzieren.
Meine Lenkertasche wiegt nun vier Kilos, die Satteltasche und der Rucksack drei. Zwei Wasserflaschen führe ich am Rahmen. Mit dieser Konfiguration möchten wir unbefestigte Wege fahren und trotzdem flexibel sein, um draußen übernachten zu können.
Ich fahre zusammen mit Philippe die nächsten 10 Tage eine 500 Kilometer lange Runde durch Slowenien. Durch die Julischen Alpen, das Soča-Tal, das Küstenland bei Nova Gorica bis Ljubliana. Am See von Bled vorbei und zurück in die Julischen Alpen sammeln wir fast 10 000 Höhenmeter.
Wir starten in Kranjska Gora, einer Gemeinde im äußersten Nordwesten Sloweniens. Folgen dem Bach Pišnica und fahren in den Triglav Nationalpark ein, der in den Julischen Alpen liegt. Unser höchst gelegenes Ziel für heute ist der Vršičpass.
Am Anfang ist der Weg in den Kurven gepflastert, dann geht es ca. 20 Kehren 1200 Höhenmeter auf grasigen Wegen durch Lärchenwälder empor. In langen Tentakeln hängen die braunen Langtriebe lässig nach unten, dicht besetzt mit hellgrünen Sträußchen. Während andere Nadelhölzer Schrammen auf der Haut beim Vorbeifahren hinterlassen, streicheln die Lärchenäste meine Unterarme.
Am höchsten Punkt des Passes liegt die Berghütte Poštarski am Fuße des Berges Vršič mit kleinen Almen. Die Sonne steht schon tief am Himmel und wirft warmes Licht auf den Kalkstein des Triglav-Massivs, der so bröckelig wie Parmesan und so fahl wie ein Grottenolm ist. Es ist beruhigend, mittendrin in der Bergszenerie zu sein.
Nach einer Schafweide treffe ich zwei Mountainbiker, die die einsame Auffahrt im Lärchenwald genauso genossen, wie wir. Neugierig frage ich nach, ob sie auch durch Slowenien bikepacken. Lachend schütteln sie den Kopf. Sie erklären, dass sie heute einen Tagesausflug machen und ihr Wohnmobil auf einem Campingplatz am Fluss Soča steht. Genau dort wollen wir hin und rollen so viele Serpentinen bergab, wie wir hinaufgekurbelt sind.
Wir verbringen die Nacht direkt an der Soča und folgen dem Fluss am nächsten Tag bis nach Bovec. Unsere Route entlang der Soča führt meist auf nicht asphaltierten Wegen stetig bergab. Manchmal wechseln wir über Brücken die Flussseite und rollen auf der Straße weiter. Ich versuche freihändig zu fahren. Aber meine Lenkertasche bringt eine ungewohnte wackelige Unruhe, sodass ich wenigstens die linke Hand auf meinen Gummigriff lege.
Die Soča hat ihre Quelle am Fuße des Berges Travnik, also unweit des Vršičpasses, wo wir herkommen. Sie zerschneidet mit ihrem 10°C kalten Wasser das Karstgestein. An manchen Stellen weitet sich das Flussbett und wir sehen Fische in tiefen Gumpen. In Bovec verlassen wir den Fluss und folgen einer alten Militärstraße aus der Zeit des Ersten Weltkrieges gen Süden.
Die Lenkertasche an meinem Mountainbike sitzt fest und ich bin überrascht, dass ständige Stöße von Steinen und leicht verblocktes Gelände der Konstruktion nichts anhaben können. Trotzdem agiert mein Lenker nicht so wendig wie sonst. Meine Satteltasche hingegen spüre ich bei der Auffahrt nicht. Bei kleinen Trails in kann ich meinen Schwerpunkt nicht hinter meinen Sattel verlagern, sondern darf mich auf die Satteltasche setzen.
Mit jedem Kilometer verlieren wir an Höhe und nähern uns der slowenisch-italienischen Grenze. Die Dörfer sind ausgestorben wie die Stempelbremse an Damenfahrrädern. Nur selten können wir während dieser Etappe zur Begrüßung ein „Dober dan“ loswerden.
Wir erreichen die slowenischen Weinanbaugebiete im Adria-Küstenland. Die Hänge sind so steil, dass wir um die Traktoren bangen, bis wir sehen, dass sie auf Terrassen fahren. Die Wege führen uns an Weinhängen vorbei oder durch diese hindurch. Die Reben erreichen noch nicht ganz den oberen Draht der Rankhilfen und die Weintrauben sind pastellgrün. Dafür wachsen reife Feigen tennisballdick an den Bäumen. Wir pflücken sie, wenn sie tief genug hängen und genießen die matschig fleischige Frucht mit der dünnen Haut.
Auf den rissigen Boden der Terrasse eines Weinhanges stellen wir unser Zelt auf und hören den Zikaden beim Zirpen zu. Anders als beim Camping auf Gras ist am nächsten Morgen unser Außenzelt komplett trocken.
Wir passieren die italienische Region Udine und fahren ab Nova Gorica wieder entlang der slowenischen Grenze. 2007 ist Slowenien dem Schengen-Abkommen beigetreten und wir können die Staatsgrenze Slowenien-Italien an jeder Stelle ohne Grenzkontrollen überschreiten.
15 Kilometer nach Nova Gorica fahren wir durch ein Waldgebiet. Es ist so dicht bewachsen ist, dass wir außer 20 Zentimeter breiten Wegstreifen nur Blätter sehen. Unsere Mountainbike-Reifen graben sich in den sandigen Untergrund. Abwärts hinterlässt Philippe eine Staubwolke, die meine Beine ummantelt.
Zu unserer Linken sehen wir den türkisenen See Vogrsko, der aber 200 Höhenmeter tiefer liegt. Die letzte Dusche ist bereits Tage her und der Gedanke, die natürliche Hautfarbe meiner Schienbeine zu erkennen, ist verlockend. Wir verlassen unsere geplante Route und fahren zum See ab.
Dort sehen wir keine Menschenseele und auch keine Tiere. Der See liegt eingerahmt von Bäumen direkt an der Schnellstraße H4, die Nova Gorica mit Ljubljana verbindet. Das generiert Autobahnlärm für die ganze Gegend als ständige Geräuschkulisse.
Als ich den Kocher und Topf auspacke, um Nudeln mit Tomatensoße zu kochen, hören wir Stimmen. Wir treffen auf die beiden Slowenen Stane und Roman, die einzigen Bewohner hier am See. Sie haben zwar eine Wohnung in der Nähe von Nova Gorica, leben aber hier ganzjährig in einem selbstgebauten Baumhaus.
Stane spricht sogar ein paar Worte deutsch und erklärt, dass sie hier schon lebten, als 2009 die Schnellstraße gebaut wurde. Sie bieten uns zwei Sitzgelegenheiten sowie Semmeln und Weißwein zu unseren Tomatenudeln an.
Als wir fertig gegessen haben, frage ich: „Was macht ihr heute noch?“ Stane wiederholt langsam meine Frage auf Deutsch: „Was wir heute noch machen?“ Er sieht Roman an, lächelt und sagt zu ihm: „Uživajte v življenju“, was so viel bedeutet wie „das Leben genießen“. Er dreht sich zu mir, lacht wieder und antwortet mir: „Nichts“.
Wir baden im See Vogrsko und machen uns auf den Weg nach Postojna. Waldwege, die so schmal sind, dass wir fast nicht mehr die Pedale treten können, werden fast unsichtbar. Wir bahnen uns die letzten Kilometer durch das Dickicht. Die gesamte Gegend um Postojna ist verkarstet und es gibt unzählige Höhlen, die sogar miteinander unterirdisch verbunden sind.
Wir besichtigen die Höhle Pivka in Bewunderung für die lange Wachstumszeit der Tropfsteine von ca. 1 Million Jahren. In der Höhle ist es mit 14°C angenehm warm. Das liegt am Fluss Pivka, der durch die Höhle fließt und die Lufttemperatur bestimmt. Nachdem er die Höhle verlässt, heißt er Ljubljanica und fließt durch die gleichnamige Hauptstadt Sloweniens – Ljubljana.
Nach Postojna wechseln wir unsere Reise-Richtung in Nordost und erfreuen uns an 1000 Höhenmetern Aufstieg nach Rakitna. In den flachen Regionen aus den Vortagen füllten wir gerne unsere Flaschen an Brunnen auf. Hier ist es wieder hügeliger und wir finden natürliche Quellen.
Am nächsten Tag stehen wir vor der Franziskanerkirche in Ljubljana, beobachten das Treiben auf dem Stadtplatz vor den Drei Brücken. In der Menge erkennen wir eine Frau mit Mountainbike, Lenker- und Satteltasche eindeutig als Bikepackerin. Wir sehen die Erste unserer Art nach sechs Radtagen durch Slowenien in der Stadt. Natürlich möchten wir wissen, welche Pläne sie hat. Bis ich jedoch die Treppen hinunterlaufe, fährt sie auch schon davon.
Auf Fahrradwegen verlassen wir Ljubljana und kommen an Bauerndörfern vorbei. Am Himmel kann ich kein Loch in der Wolkendecke finden, das vielleicht etwas Sonne versprechen könnte, aber es ist trocken. Bauern fahren ihr Heu ein, drehen es zum Trocknen am Feld und lagern es unter ganz schmalen Dächern. Ich mich frage, ob das Heu bei Regen trocken bleibt.
Holprige Wurzelwege, die ich fahren kann, ohne absteigen zu müssen, bringen uns nach Bled. Dort kommen wir direkt am See an. Die Wasseroberfläche des Sees ist spiegelglatt und wird nur ab und zu durch einen springenden Fisch gestört. Wir sind aber nicht die einzigen, die den Moment beim Sonnenuntergang festhalten wollen.
Von Bled folgen wir der Straße nach Mojstrana und biegen auf einen Forstweg ab. Er bringt uns zum höchsten Punkt der Tour auf über 1800 Meter. Wir sind wieder im Triglav Nationalpark und in wenigen Kilometern an unserem Ausgangspunkt in Kranjska Gora angelangt.
Noch können wir über die letzte Alm auf Wiesen fahren. Bald schon werden wir unsere Räder an der slowenisch-österreichischen Grenze entlang schieben, weil der Weg zum Sattel zu steil zu fahren und knietief ausgewaschen ist. 100 Höhenmeter vor dem Sattel überrascht uns ein Gewitter, das uns grantig grollend den Abstieg nahelegt. Bei strömendem Regen fahren wir ab und finden einen alternativen Weg nach Kranjska Gora.
Nach 500 Kilometer sind wir genau dort, wo wir begonnen haben – inklusive 10.000 Höhenmeter in den Beinen mit kleinen Abenteuern. 70% unserer Reiseroute lag auf unbefestigten Straßen, wie Forstwegen oder Waldpfaden. Zentrumsnah und im Nationalpark begegneten wir einigen Mountainbikern, die Tagestouren unternahmen.
Die einzige Bikepackerin sahen wir in Ljubljana. Daher fragen wir uns nach unserer ersten Bikepacking-Tour, auf welchen Pfaden all die anderen Bikepacker unterwegs sind. Vielleicht werden wir ihnen auf unserer nächsten Reise begegnen.
Text: Christiane Radies