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Mai 2019
Erst wenn ein Gebirge über 1500 Meter über dem Meeresspiel misst, darf es sich Hochgebirge nennen. Mit 45° steilen Flanken, baumlosen Gipfeln und mehr oder weniger flächigen Gletscherüberresten wirken die Massive so mächtig wie Karl der Große und unzerstörbar wie Adamant. Sind sie aber nicht.
Hochgebirge sind nur die ungeschliffenen Jungspunde in der Erdgeschichte mit nur 150 Millionen Jahren. Wartet man nochmals 150 Millionen Jahre, tragen Erosion, Plattenverschiebung und Auffaltung die Ecken und Kanten ab. Es entsteht eine dicht bewaldete Hügellandschaft, die wir als Mittelgebirge bezeichnen.
Das Erzgebirge in Sachsen und Böhmen ist eines der über 40 deutschen Mittelgebirge und benennt den Klínovec (Keilberg) als höchste Erhebung von 1.244 Metern über dem Meeresspiegel. Als vor mehr als 1000 Jahren der Bischof von Merseburg in die dichten Wälder Sachsens gelangt, tauft er die Gegend lautmalerisch Miriquidi – „Dunkelwald“.
Zusammen mit Philippe reise ich vom Münchner Süden in den dunklen Wald, um dort Ende Mai Mountainbike zu fahren. 2014 hat Roland Stauder aus den bestehenden Mountainbikestrecken eine zusammenhängende Runde entworfen, markiert und Stoneman Miriquidi getauft.
Auf nicht ganz 170 km Länge kommen hier durch 9 Gipfelanstiege 4400 Höhenmeter zusammen. Diese Runde ist kein Wettkampf, sondern ein Erlebnis, das wir binnen drei Tagen beradeln werden. Wir starten in Johanngeorgenstadt und holen uns unsere Stempelkarten bei der Ausgabestelle Pension Edelweiß ab.
Am Berg Plešivec ist eine von neun Stempelstellen und Infotafeln installiert. Meine Karte passt perfekt in den Schlitz und ich stanze mit Schmackes ein kreisrundes Loch in das Hartplastik. Das war schon der zweite Gipfel. Es fehlen also nur noch 7 kleine Löcher in meiner Karte.
Abwärts führt ein sandiger Weg, der schmaler als mein Lenker ist, die Skipiste hinab. Durch die künstlich angelegten Erhöhungen in den Kurven hat mein Reifen Gripp, ich lege mich ein wenig in die Kurve und fühle den Flow.
Die erste Tagesetappe endet in Oberwiesenthal. Durch die tschechischen Gipfel Blatenský vrch, Plešivec und Klínovec sammelten wir fast 2000 Höhenmeter an nur einem Tag. Am zweiten Tag stempeln wir am Bärenstein. Die Abfahrten auf holprig wurzeligen Waldwegen können wir fast durchgehend fahren.
Durch Stürme und Frost gab es im Winter viele Baumstürze in den Wäldern. Trotzdem tragen wir nur selten unsere Fahrräder über die Baumstämme, weil uns Umleitungen alternative Wege weisen.
Kurz nach Annaberg-Buchholz passieren wir die erste künstlich angelegte Stoneman-Quelle mit umweltverträglicher Kühlung im Wassereimer. Wir freuen uns über die zuckersüße Erfrischung und nehmen auf der Parkbank Platz.
Eine Gruppe aus vier männlichen Mountainbikern überholt uns hier ohne einen Stopp einzulegen. Der letzte Radler schnauft und blickt auf unsere Cola-Dose. Als wir sie später einholen, erfahren wir, dass sie den Stoneman Miriquidi in zwei Tagen meistern.
Am dritten Tag starten wir in Scheibenberg und fahren auf glitzernden Forstwegen. Das am häufigsten vorkommende Gestein ist hier der Gneis. Es funkelt, weil der Stein das Mineral Glimmer enthält. Die Runde führt uns durch das Trailcenter Rabenberg mit einigen Kilometern Single-Trail im Fichtenwald.
Mein Fahrrad ist nur an der Vordergabel gefedert und schluckt nicht alle Stöße. Die weichen Waldwege dämpfen Wurzelstufen oder engere Kehren, sodass es eine Freude ist, die Strecke in Geschwindigkeit und Fluss zu fühlen.
Nach dem Trailcenter Rabenberg zähle ich acht kleine Löcher in meiner Stempelkarte. Der letzte und neunte Gipfel nennt sich Auersberg und liegt nur wenige tausend Fahrradlängen vor unserem Start in Johanngeorgenstadt. Es beginnt zu nieseln und die Temperatur fällt ab. Die Dame im Kiosk vor dem Auersbergturm grüßt uns mit sächsischem Einschlag und schließt die Verkaufsluke.
Während wir in den vergangenen Tagen stündlich Mountainbiker trafen, sind wir jetzt alleine. Wir fahren zuerst im Wald ab und dann wiederum 200 Höhenmeter hinauf. Als wir die asphaltierte Forststraße, die mit braunen Fichtennadeln paniert ist, hochkurbeln, zieht Nebel auf. Im Nebel habe ich das Gefühl, dass die Zeit still steht. Es ist wunderschön.
Während der Abfahrt nach Johanngeorgenstadt sprenkelt mir mein Vorder- und Hinterrad ein Gemisch aus Waldboden und Sand in den Mund und vom Gesäß zum Rücken hoch. Die Wolken über uns entleeren sich, bis meine Fahrradschuhe gesättigte Schwämmchen sind.
Tropfnass kommen wir bei Steffen Meixner in Johanngeorgenstadt, unserem Ausgangspunkt, an. Seine Frau stellt den Wäscheständer auf, klipst unsere Handschuhe, Socken und Helme fest und zeigt uns einen freien Platz auf der Heizung für die Schuhe.
Wir zeigen unsere vollständig abgestempelten Kärtchen und Steffen überbrückt uns die viel zu lange Zeit bis zum Abendessen mit zwei Stücken Maulwurfkuchen. Danach überreicht er uns eine Glückwunschkarte von Roland und den bronzenen Stoneman Miriquidi Stein für unsere Trophäe – natürlich ein Gneis.
Text: Christiane Radies