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August 2017
Wind bläst mir um die Nase und Nebel zieht durch das Tal. Meine Kette ist frisch geölt und erst letzte Woche gab es einen neuen Satz Bremsbeläge. Nach einer ordentlichen Portion Schweizer Müsli fühle ich mich energiegeladen. Endlich geht es auf die ersten 1400 Höhenmeter, die sich mit so einem Frühstück erfahrungsgemäß wie von selbst kurbeln.
Wir wollen den Stoneman Glaciara fahren. Das ist ein Mountainbike Rundkurs, der von Roland Stauder errichtet und markiert wurde und in den Berner Alpen liegt. Mit einer Länge von 127 km und 4700 Höhenmetern ist der Schweizer Trail im Kanton Wallis eine konditionelle und mentale Herausforderung für mich. Diese wollen wir in drei Tagen meistern.
Falls wir erfolgrecih sind, bekommen wir einen bronzenen Stein als Trophäe. Biker, die den Trail in einem oder zwei Tagen befahren, erhalten den Stein in Gold oder Silber. Als Nachweis stempelt man an 6 Checkpoints auf dem Trail eine Karte ab und legt diese an einer Ausgabestelle im Ziel vor.
Wir starten in Fiesch und kurbeln uns in Serpentinen eine schottrige Forststraße über die Fiescheralp zur Gletscherstube am Märjelen Stausee. Die Hütte liegt zwischen Strahlhorn und Eggishorn. Zum Abendessen sitzen wir mit zwei Schweizern am Tisch. Sie erklären uns, dass sie hier Erholung suchen und morgen die Hütte gar nicht verlassen werden. Als wir vom Stoneman Glaciara erzählen, ruft einer der beiden: „Für 4700 Höhenmeter bräuchte ich zwei Wochen!“
Am zweiten Tag strahlt die Sonne zu uns ins Matratzenlager der Gletscherstube und die Abfahrt bis zur Bettmeralp mit See auf kleinen Wiesentrails ist ein Hochgenuss. Von dort geht es knackig schroff zur Bergstation der Moosfluh-Gondel hoch. Ich tropfe meinen Alurahmen mit Schweißperlen voll und zweifle nach der dritten Rampe an der Sinnhaftigkeit dieser anstrengenden Schleife des Trails.
Oben angekommen bin ich schlauer, weil wir auf 2400 Metern Höhe auf den Aletschgletscher und das Aletschhorn blicken können. Auf einer Mountainbiketour habe ich noch nie so viel Eis erlebt. Der Gletscher ist weiß, türkis, wenig zerklüftet und schlängelt sich vom Konkordiaplatz bis ins Rhonetal. Bis in den Zungenbereich des Gletschers ziehen sich zwei dunkle Spuren der Mittelmoränen, die wie überdimensional große Traktorspuren im Schnee aussehen.
Die Abfahrt auf schmalen Trails und flowigen Waldwegen führt uns schließlich in den Talort Mörel.
Den ganzen Tag freue ich mich schon auf den Anstieg zum Breithornpass, weil ich meine Pedale kontinuierlich 1700 Höhenmeter malträtieren darf. Die Dorfstraße durch Grengiols ist gepflastert und steil. Ich beuge mich weit zu meinem Lenker hinunter, um meinen Schwerpunkt zu senken und versuche meinen Atem gleichmäßig zu halten, dabei aber nicht zu langsam zu werden.
Mein Tacho zeigt die beschämend geringe Zahl von 4.8 km/h, als mir ein Bewohner des Dorfes mit Stock entgegenkommt und belustigt meint: „Innerorts gilt hier eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h!“ Ich versuche, ihm das herzlichste Lachen zu schenken, das mir in dieser Situation möglich ist.
Dann verlassen wir die Zivilisation und folgen einer alten Militärstraße. Links und rechts ragen Himbeerranken in den Weg. Die Vegetation ist langsam gesättigt vom Sommer und die Buchenblätter sind dunkelgrün. Mechanisch trete ich wieder und wieder in die Pedale, fahre die Serpentinen weit aus und sehe Philippe vor mir in seinem blauen Trikot aus der Umgebung herausstechen. Am liebsten möchte ich Philippe zurufen, wie schön es hier ist, beschließe jedoch, meine Puste für die nächste Kehre zu sparen.
Das Gefühl ist überwältigend, dort oben am zugigen Breithornpass anzukommen. Eine Arena aus Gletschern vor dem berühmten Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau zu sehen und zu wissen, dass es heute nur noch abwärts durch das Binntal nach Binn geht.
Die dritte und somit letzte Etappe führt uns immer am Fluss Rhone entlang durch den Bezirk Goms. Wir sehen sogenannte Gommerhäuser aus dunklem Lärchenholz mit kreisrunden Steinplatten als Zwischenstützen, die die Mäuse vor Hunderten von Jahren von den Vorräten fernhalten sollten.
Erst erwischen uns heftige Regenschauer, dann weht uns der Fahrtwind an. Wenige Kilometer vor unserem Ziel ruft mir Philippe zu: „Mein Trikot ist schon fast trocken!“ Schmunzelnd denke ich an meine erste Sportkleidung aus Baumwolle. Wenn sie einmal nass war, blieb sie das auch.
Wenige Kilometer vor unserem Ziel in Fiesch, fahren wir durch das Bergsportzentrum Bellwald. Cello, der Manager der Sport- und Freizeitanlagen Bellwald sitzt auf der Terrasse der Gade Bar und rührt seinen Espresso mit einem kleinen Löffel um. Außerdem verwaltet er hier eine der Ausgabestellen des Stoneman Glaciara.
Als er uns bei der letzten Stempelstelle sichtet, springt er auf und gratuliert uns sehr herzlich. Ich habe das Gefühl, er freut sich so sehr, wie wir. Gemeinsam mit seinem Freund Stefan stoßen wir mit einem Walliser Bier auf unsere Tour an.
Text: Christiane Radies
Liebe Christiane,
einen wundervollen Bericht hast du vom Stoneman geschrieben. Ich bin im letzten Jahr den Stoneman Dolomiti gefahren. Der war schon schön. Aber jetzt freue ich mich auf den Glaciara. Vielen Dank für die sehr verlockende Beschreibung.
Liebe Grüsse
Silke
Hallo Silke,
danke, das freut uns sehr, dass dir der Bericht gefällt! Den Stoneman Dolomiti sind wir auch schon gefahren und dieses Jahr zum ersten Mal auch den Miriquidi.
Wir haben überlegt, ob wir dich kennen?! Wenn ja, woher?
Viel Spaß auf dem Stoneman Glaciara und eine gute Radlsaison wünschen dir
Philippe & Christl