Pershendetje – Hallo!
Die Kirchenglocken der orthodoxen Kirche läuten, gleichzeitig ruft der Imam einer Moschee über Lautsprecher zum Gebet. Ich entdecke am Gehweg einen Mann, der neben 3 liegenden Hühnern steht. Ein weiterer Mann kommt dazu, gibt ihm Geld, nimmt sich ein Huhn und trägt es an den Füßen kopfüber davon. Granatäpfel hängen faustgroß gelb-orange an kompakten Bäumen, platzen noch hängend am Baum auf, um ihr Buffet für Vögel zu eröffnen, fallen nach wenigen Tagen herab, um Käfern und Kleingetier am kernig-saftigen Inhalt teilhaben zu lassen.
Willkommen in Berat, Albanien. Die Stadt der tausend Fenster.
22
September 2024
Unsere Anreise nach Albanien
Wir fahren mit dem Auto von daheim und unseren zwei Mountainbikes im Kofferraum nach Ancona, Italien und nehmen die Fähre nach Durres, Albanien. Wir reisen von Durres nach Berat, UNESCO Weltkulturerbe, bleiben dort zwei Nächte. Von dort wollen wir eine 6-tägige Bikepacking-Route mit unseren Mountainbikes auf unbefestigten Straßen pedalieren. Es geht über Tepelene im Süden, Permet, Pagri, Corovode und wieder zurück nach Berat. Diese Route wird von Anna Haider auf bikepacking.com unter dem Titel Raki Roads beschrieben. Höhepunkte sind das Vjosa Tal mit Fluss, die Nationalparks Bredhi i Hotovës und Mali i Tomorit, sowie die Osumschlucht. Danach wollen wir im Nationalpark Llogara wandern und im Meer schwimmen.
Gastfreundschaft
Wir erreichen Berat und Silvja empfängt uns herzlich in unserer ersten Albanischen Unterkunft mitten in Berat. Beim Einparken passiert das Missgeschick: Philippe touchiert einen Betonpfeiler. Weitere Details werden hier nicht beschrieben, es ist ihm schon peinlich genug. Doch wie geht es jetzt weiter? So können wir nicht weiterfahren. Gleich am nächsten Tag stehen wir bei Artur in der Dreigenerationen Autowerkstatt. Er spricht kein Wort englisch, ruft kurzerhand seinen Sohn Sergi an und wir klären das Problem.
Sergi verspricht uns am Telefon, dass vor uns der beste Mechaniker weit und breit steht und dass wir uns keine Sorgen machen sollen. Sie werden ihr Bestes geben, um unser Auto zu reparieren. Es wird nur ein paar Tage dauern, bis sie alle Teile bekommen. Glück im Unglück, denn wir brauchen das Auto jetzt sowieso nicht, weil wir auf unsere Bikepacking-Tour aufbrechen wollen.
Silvja aber auch wir erholen uns über Nacht von dem Schreckmoment und sie bereitet uns ein köstliches Frühstück mit Ei, Byrek und Marmelade. Gestärkt starten wir auf unsere Radtour.
24
September 2024
Raki Roads Tag 1
Es ist Dienstagmorgen Ende September, wir haben unsere Satteltaschen und Lenkertaschen dicht gestopft und an den Rädern befestigt. Wir sind startklar und radeln in Berat los. Philippe trägt seine Kamera im Rucksack, ich habe Kocher und Essensvorräte in meiner Lenkertasche verstaut, wir teilen uns das Zelt mit Gestänge, Innenzelt und Außenhaut auf unsere Taschen auf. Schlafsack und Isomatte sind in der Satteltasche untergebracht.
Gleich hinter Berat geht es steil und mit groben Steinen bergauf. Berat liegt auf nur 50 Metern NN und die ersten 500 HM Richtung Berg (Maja) Drobonikut lassen unseren Puls nach oben schnellen. Wir lassen Berat schnell hinter uns und fahren gen Süden. Wir sehen keine Häuser mehr und sind ab Nachmittag mittendrin in den Albanischen Bergen. Unser Fahrweg ist mit großen Steinen und Schlaglöchern durchzogen. Es erinnert mich mehr an die Südtiroler Militärwege als an unsere bekannten Forststraßen. Ruppig und uneben trete ich aufwärts über kleine Rampen, losen Schotter und melonengroße Kalkbrocken. Abwärts habe ich das Gefühl, dass ich einen Presslufthammer in der Hand halte, so sehr schüttelt es mich und meine Lenkertasche durch.
Ich sehe grüne Hügel in mitten der Berglandschaft Südalbaniens. Schäfer mit Hut und Stock hüten zusammen mit Hütehunden kleine Schafherden. Als wir auf der letzten Abfahrt der heutigen Etappe sind, befahren wir das Revier zweier Hütehunde, die uns eindeutig als Eindringlinge und Bedrohung für ihre Lebensaufgabe, die Verteidigung der Schafherde, sehen. Mit aggressivem Gebell rennen die beiden Vierbeiner im Schweinsgalopp eine 10 Meter Höhe steile Böschung hinab und auf uns zu. Wir versuchen, sie zu ignorieren und hören den Ruf zur Entwarnung des Hirten. Der große Hütehund berührt mit seiner Schnauze meinen Knöchel und lässt dann unter Gebell von uns ab. Hochpulsig und aufgeregt fahren wir zu einem kleinen Wasserreservoir und schlagen unser Zelt auf.
25
September 2024
Raki Roads Tag 2
Mit 80 km und 1400 HM ist die zweite Etappe des Loops eine lange. Wir treten bereits vormittags bei über 35°C stetig bergauf und fahren aufgrund der Wegbeschaffenheit vorsichtig mit all dem Gepäck wieder bergab. Das kostet Zeit und wir kommen nur langsam voran. Wir haben neben unseren 2 Fahrradflaschen am Rahmen noch je einen weiteren Liter Wasser im Rucksack und können somit in Summe nicht ganz 5 Liter Wasser transportieren. Bei dieser Hitze und den wenigen Quellen bin ich jetzt schon froh, diesen zusätzlichen Liter im Rucksack für eine kurze Weile spazierenzufahren.
Unsere Köpfe sind rot, wir sind überhitzt. Gegen 16 Uhr sind wir an Tepelene vorbeigeradelt und sitzen im Schatten eines Restaurants in Kelcyre. Wir sind die einzigen Gäste, bestellen Wasser und das Menü „Traditional“: Tomatensalat mit Zwiebeln und gefüllte Auberginen. Fünf Minuten später steht unser Mahl mit Brotkorb vor uns. Unsere Wasserflaschen füllt unser Wirt bereitwillig auf und wünscht uns eine gute Fahrt.
Danach pedalieren wir an Permet vorbei und schlagen unser Zelt nahe eines kleinen Baches auf.
26
September 2024
Raki Roads Tag 3
Wir sind jetzt mitten im Nationalpark Bredhi i Hotovës und die dritte Etappe ist kurz aber knackig: auf 50 km kommen heute 1500 Höhenmeter. Klares Wasser fließt uns in dünnen Strömen an den Felswänden entgegen und wir nutzen die Verdunstungskälte und übergießen Radhose, Kopf und Waden. Damit lassen sich 35°C deutlich besser aushalten und ich freue mich über die gewonnene Frische.
Wir sehen fast keine Albanischen Autos mehr, trotzdem kommen wir immer mal wieder an kleinen Dörfern vorbei. Uns kommt ein Mann reitend auf einem Esel entgegen. Er sitzt auf einem hölzernen Sattel und lässt beide Beine auf die rechte Seite hängen. Die linke Seite ist bepackt. Wir grüßen uns.
Laut Karte sollte es in Ogren-Kostrec ein Restaurant oder ein Gästehaus geben. Es ist Mittag, wir sind hungrig und so rufen wir in das verlassene Grundstück an der Straße hinein. Eine kleine Frau mit schwarzem Pulli grüßt und gibt mir Weintrauben, die sie gerade gepflückt hat. Wir fragen sie, ob wir etwas zu Essen bekommen. Sie schüttelt den Kopf, ruft dazu: „neee“, lacht und führt uns in ihr Haus über 50 steinerne Stufen bergauf. Binnen 15 Minuten sitzen wir auf Dalipis Terrasse mit Linsensuppe und Fleisch, Brot, Marmeladenspezialitäten, eingelegter Walnuss und Raki. Ihren selbstgemachten Honig mit Wachswaben probieren wir ebenfalls.
Erst hinterher wird uns klar, dass hier Kopfschütteln Zustimmung ist. „Po“ bedeutet ja. „Jo“ bedeutet nein. Dalipis spricht kein Englisch. Wir unterhalten uns ein wenig über die Köstlichkeiten mittels Übersetzungs-App. Wir umarmen uns zur Verabschiedung, Dalipis schenkt uns Tomaten aus dem eigenen Garten, Philippe und ich danken ihr mit faleminderit und radeln weiter.
Vollgefuttert wäre jetzt eine Abfahrt taktisch klug. Gibt es aber nicht. Weitere 500 Höhenmeter kurbeln wir uns mit vollen Mägen hoch. Nach Pagri finden wir direkt am Fluss Lumices zwei Quadratmeter plane Liegefläche, stellen unser Zelt auf und baden im Fluss. Ab 19 Uhr ist es dunkel und mit jeder Minute wird die Milchstraße am Himmel besser sichtbar. Wir sehen nur Sterne. Es ist wunderschön.
27
September 2024
Raki Roads Tag 4
Morgens ist unser Zelt von der hohen Luftfeuchtigkeit patschnass. Wir wedeln die größten Wassertropfen von der Außenhaut und stecken es nass in unsere Packtaschen. Wir verlassen den Lumices Fluss und radeln bergauf gen Bergdorf Raban. Es kommen uns 2 geländegängige Landrover entgegen. Der Fahrer lässt seine Scheibe runter und sagt auf Deutsch: „Respekt. Ich möchte hier nicht Radfahren!“. Wir antworten, dass wir hier nicht Autofahren wollen. Alle lachen.
Wir düsen jetzt abwärts an der Schlucht des Flusses Osum entlang. Das Wasser hat sich dort senkrecht in den Sandstein eingegraben und bildet rötliche Schichten. Wir halten unsere Füße ins Wasser, essen Tomaten und begießen wieder Kopf und Oberschenkel mit kühlem Wasser. Ich habe Sorge, weil wir so langsam vorankommen und unsere Zeltplätze kurz vor Sonnenuntergang finden. Wir besprechen, dass wir die letzten beiden Etappen früher am Morgen starten wollen.
Wir erreichen Corovode. Dort kaufen wir Marmelade, Nüsse und Kekse für die nächsten beiden Tage ein. Unser Zelt stellen wir direkt an den Corovode Fluss nahe einer osmanischen Steinbogenbrücke. Der Ort ist wild romantisch und wir beenden den Tag mit einer erfrischenden Dusche im Fluss.
28
September 2024
Raki Roads Tag 5
Wir brechen früh für die fünfte Etappe unserer Bikepacking Tour auf. Es hat bereits 25°C und wir fahren um 8 Uhr in kurzer Radhose und Trikot los. Nach der ersten Kurve löst grober Schotterweg den seltenen Asphalt ab und wir schrauben uns zusammen mit ein paar Autos die staubig-geröllige Straße steil nach oben. In der vierten Kehre schießt ein schwarzer Hund aus einem Grundstück, bellt Philippe an und beißt ihm in das rechte Wadel.
Ich bin einige Meter unterhalb und kann aufgrund der steilen Straße nur zusehen. Philippe klickt sich aus dem Pedal und kickt den Hund. Ich schließe auf und verbinde die zwei blutenden Bisswunden. Eine blaue Quetschung mit Schwellung stellt sich ein und schnell wird klar, dass wir unsere geplante Tour nicht zu Ende fahren können. Wir rollen hinab nach Corovode ins Krankenhaus. Philippe wird genäht, bekommt eine Tetanus-Impfung und Antibiotika. Wir bleiben eine Nacht in Corovode und lecken Wunden.
29
September 2024
Zurück nach Berat
Ein Bus bringt uns von Corovode nach Berat. Eigentlich wollten wir über die Berge von Corovode nach Berat mit dem Rad fahren. Philippes Wadel schmerzt aufgrund der genähten Bisswunden und so zerlegen wir auf Wunsch des Busfahrers unsere beiden Mountainbikes und steigen ein. Unser Busfahrers rollt mit uns als zunächst einzige Gäste los. Er schaltet sein Infotainment ein, wählt Balkan Musik, schließt dann unsere Schiebetüre per Knopfdruck, öffnet einen Brief und schnallt sich bei Ortsausfahrt an.
Die Haltestellen sind nicht erkennbar, trotzdem steigen auf der 50 km langen Strecke, für die wir 90 Minuten benötigen, Männer und Frauen am Straßenrand ein. Eine Frau hält ein Mädchen in der linken Hand fest und trägt in der Rechten eine Tasche mit 2 Gänsen. Die Gänse kommen über unsere Räder in den Kofferraum des Busses. Wir umfahren Schlaglöcher, weichen anderen Fahrzeugen aus, warten bis Schafe über die Fahrbahn gegangen sind und erreichen Berat. Silvja empfängt uns herzlich und umarmt uns. Unsere Ankunft in Berat fühlt sich ein wenig nach Zuhause an.
Auch Sergi, der uns während der Woche immer auf dem Laufenden gehalten hat, und seinen Vater Artur treffen wir wieder. Ganz bescheiden zeigen sie uns unser repariertes Auto. Uns fällt ein Stein vom Herzen und sind sehr glücklich, so hilfsbereite Menschen kennenzulernen. Sogar Motoröl haben sie nachgefüllt und geben uns die angebrochene Flasche Öl mit.
Weiter ans Meer
Philippes Wadel wächst zusammen, große Belastung schmerzt. Wir fahren ans Mittelmeer nach Himare und sehen den Wellen beim Überschlagen zu. Es duftet nach Salz und Fisch, Seealgen und Pinien. Die Tomaten schmecken fruchtig und süß, unsere Herbergsmutter trocknet die eigenen Feigen auf der Terrasse, um sie zu 2 cm dicken Fladen für den Winter zu verarbeiten. Zum Abschied schenkt sie uns selbstgemachte Feigenmarmelade.
3
Oktober 2024
Tirana
Das letzte Wochenende in Albanien verbringen wir in Tirana. Wir sehen uns die Stadt mit ihren Kirchen und Moscheen an.
Am Folgetag fahren wir über Forst- und Kieswege zum Wandergebiet Ballkoni Bovillë am Fuße des Berges Gamti. Wir sind sehr früh dran, um vor Sonnenaufgang den See Bovilla zu erreichen. Erst Stunden nach uns, schrauben sich Minibusse und Jeeps die buckelige einspurige Zufahrt hinauf. Abends fahren in den 13. Stock eines Hochhauses, um die Aussicht über die Stadt bis zu den Bergen bei Sonnenuntergang zu erleben.
Schließlich nehmen wir die Fähre von Durres nach Ancona und fahren nach Hause. Im Gepäck sind einige Kilogramm Tomaten für eine weitere fruchtige Woche in Deutschland und viele Erinnerungen an herzliche Begegnungen. Albanien sagen wir Auf Wiedersehen – Mirupafshim. Wir kommen wieder, denn es gibt noch genug unbefahrene Forstwege.
Text: Christl Radies
Vielen herzlichen Dank für die einmalig schönen Fotos und den aufschlussreichen und interessanten Reisebericht. Am liebsten möchte ich dort auch hinfahren, so einladend klingt Eure Beschreibung.
Das freut uns sehr, dass dir die Fotos und der Bericht so gut gefällt, dass du gleich selbst aufbrechen möchtest. Wir empfehlen noch den Winter abzuwarten und danach loszuradeln!
Liebe Christiane,
lieber Philippe,
herzlichen Glückwunsch zu euerem spannenden und interessanten Bericht eueres sportaktiven Aufenthalts in Albanien.
Die Fotos der markanten Landschaft und des gigantischen Sternenhimmels (das letzte Foto des 26.09.) haben mich besonders beeindruckt.
Ich werde eueren Erlebnisbericht noch öfter lesen.
Viele Grüße von euerer Naturfreundin JENAte
Liebe Jenate,
danke für deinen Kommentar und schön, dass dir Bericht und Bilder gefallen. Der Sternenhimmel war wirklich einzigartig.
Viele Grüße von Christiane & Philippe
Liebe Christl und lieber Philippe!
Was für ein berührender und fesselnder Bericht, Christl. Wow. Vielen Dank für diese persönlichen Einblicke in eure Radtour und Urlaubs-Erfahrung.
Und vielen Dank Dir Philippe, für deine beeindruckenden fotografischen Aufnahmen! Der Wahnsinns Nachthimmel, die alte Osmanische Steinbrücke und der Zeitraffer, vielleicht eines ganzen Tages, …
Der Zeitraffer, der uns als Leser, zeigt warum Berat, die Stadt der tausend Fenster ist. Was für eine Stimmung, die du, Philippe, uns da mitfühlen lässt. Danke!
Jetzt bleibt es an mir, selbst hinzufahren, um das Land, die Menschen und die Stimmung auch noch mit meinem Gehör-,Geruch- und Geschmacks-Sinn zu erleben.
Viele Grüße von
eurer Naturfreundin Claire
Liebe Claire,
vielen Dank für deinen begeisterten Kommentar! Schön, dass dir unser Bericht und die Bilder so gut gefallen. Albanien ist auf jeden Fall eine Reise wert – wenn da nicht die Hunde wären.
Viele Grüße von Christl & Philippe